Die Fußball-WM in der Republik und auf Sylt:

Ein Mega-Ereignis

"Deutschland einig Feierland"

 

Erlebt, mitgefiebert, nachempfunden und aufgeschrieben

von Klaus Papenhausen

Die Hände zum Himmel...

Wir schreiben das Jahr 2006 n. Chr. Ganz Westerland ächzt unter sengender Sonne und unter der Knute eines schier unbezwingbaren Gegners, der sich weite Teile der Inselmetropole bereits untertan gemacht hat – der Fußball-Virus. Ganz Westerland? Nein: Ein von zwei unbeugsamen Damen bevölkerter Strandkorb mit der Nummer 917 ist Trutzburg und letzte Bastion der zur Unbedeutsamkeit verurteilten Spezies der Nicht-Fußball-Fans. Die beiden gut betagten, von vornehmer Blässe gezeichneten Ladies haben jede zehn Karten in der Hand, und spielen ein Spiel, das wohl Rommee heißt oder Canasta oder Boule. Oder so.

Kein Gedanke an Totti, Klinsi, Schweini oder Poldi. Viel wichtiger ist es, einen heimlichen Blick in die Karten der Nachbarin  werfen zu können...

Es ist nicht leicht  in diesen Tagen, einen fußballfreien Ort zu finden. Auch nicht auf Sylt: Überall legen WM-Hinweistafeln, Fahnen an den Autos, schwarz-weiß-gold-geschmückte Balkons und Kicker-spezifische  Auslagen in den diversen Geschäften Zeugnis darüber ab, was die ganze Republik seit dem 9. Juni in helle Aufregung versetzt: König Fußball hat Einzug gehalten, und ganze Heerscharen von Einheimischen wie Gästen liegen ihm zu Füßen. Eine Woche vor der Abschlussfeier hat die Begeisterung ihren Höhepunkt erreicht.

Deutschland wird neue Besucherrekorde auf den Fan-Meilen vermelden, tagtäglich erfreut die internationale Presse den Gastgeber mit immer neuen Lobgesängen, selbst aus Ländern wie England und Holland, von denen man es nie vermutet hätte, und immer wieder stimmen sie alle ein in „54, 74, 90, 2006“...

Zu Gast bei der 45 Jahre Pony-Party in Kampen - Nationalspieler Arne Friedrich

Nun, die von den Sportfreunden Stiller besungene Sensation wird nicht mehr eintreten. Die Deutschen sind ihrem Ruf als perfekte Gastgeber mehr als gerecht geworden, sie  haben sogar noch einen darauf gesetzt und die Italiener gewinnen lassen, die nun am Sonntag gegen Frankreich oder Portugal eine Weltmeisterschaft beenden werden, die selbst hochgesteckte Erwartungen übertroffen hat. Es ist an der Zeit, einen ersten Blick zurück zu werfen.
Die Stimmung

Fußballfreie Zone im Bierlokal "Tränke" in der Friedrichstraße: Die Schweizer Schlachtenbummler stärken sich mit einem "Schwarzen Schwein" bis zum nächsten Spiel

Die Stimmung im Lande: Hauptgewinner dieser WM. Kein Mensch auf Gottes Erden hatte es diesen oft als knochentrocken und humorlos verschrieenen Alemannen zugetraut, derartige Gefühlswelten zutage treten zu lassen.

Geschäftstüchtig und fleißig waren sie bisher gewesen, aber so locker und so leidenschaftlich hat man sie bisher nicht kennen gelernt. Schwarz-Rot-Gold, eine Farbkombination, einst gefürchtet und gar verhasst, nun in neuem Glanze erstrahlend.

Die Deutschen haben ihr Nationalbewusstsein, ihren Nationalstolz wieder entdeckt, und dies auf eine spielerische, freundliche, weltoffene Art und Weise, die Vergleiche mit früheren Zeiten bereits im Keime ersticken lässt.

Jedes zweite Auto fährt mit der Deutschland-Flagge, manchmal sind es auch zwei oder sieben. Jeder Dritte trägt die diese Tage dominierenden Farben auf der Wange oder auf dem Oberarm, manche auch auf dem Po. Futuristisch anmutende schwarz-rot-goldene Haarschopfe, dann wieder jemand mit einer Ganzkörperbemalung.

Wer gemeint hat, das rot-weiße Menschenmeer bei der WM in Südkorea sei nicht zu toppen, sieht sich nun getäuscht. Deutschland einig Farbenland, das wird unvergessen bleiben, ebenso wie die Fischer-Chöre in den Stadien beim Mitsingen der Nationalhymne.

Wetten, dass........

Deutschland Weltmeister wird? Aus bereits erwähnten Gründen haben wir als gute Gastgeber freiwillig auf den Titel verzichtet, aber in einem Punkt haben wir weltmeisterliche Qualitäten entwickelt: beim Tippen.

"Ohne mich als Sylter WM-Maskottchen wäre Deutschland nie so weit gekommen", meint Bulldogge Charly, Stammgast in der Fußballkneipe bei Rainers Osteria am Campingplatz, Westerland

Zu Gast bei Freunden: Gäste aus Zürich genossen eine Stippvisite nach Sylt schnurstracks in die "Tränke"

Wir Deutschen haben die Wettleidenschaft entdeckt. Angesteckt von unseren türkischen Mitbewohnern, für die die Zockerei so eine Art Grundnahrungsmittel ist, investieren die Einheimischen kleines wie großes Geld in Wettbüros, Oddset oder Betandwin, oder auch in privaten Experten-Runden.

Auch die Zeitungen haben sich diesem Boom angeschlossen. Bei der „Hannoverschen Allgemeinen“ kann man ohne Einsatz Autos und Reisen und Bargeld gewinnen, bei der „Sylter Rundschau“ Trikots für Jugend-Fußballer. Und Deutschland-Käppies (die Mützen, Anm.d.Red.). Diese Unterschiede tun der Begeisterung und dem Tipp-Fieber keinen Abbruch. Über  2000 so genannte Experten beteiligen sich shz-weit, auch ohne Chance auf lukrative Hauptgewinne.

Für die Sylter werfen „Steffi“, das „Tipp-Team Sylt“ und „Eric Clapton 06“ ihre geballte Fußball-Kompetenz in die Wagschale, um „ihre“ Tageszeitung im Vergleich mit den „Husumer Nachrichten“ oder dem „Eckernförder Kurier“ gut aussehen zu lassen. Dies gelingt nur bedingt, die Sylter schweben in Abstiegsgefahr. Verzweifelte Aufrufe nach stärkerer  insularer Beteiligung haben nichts gefruchtet, egal – Hauptsache, es macht Spaß.  

Public Viewing

Public Viewing wird das Wort des Jahres werden, was sonst. Das „öffentliche Schauen“ hat neue Maßstäbe gesetzt. Millionen strömen überall in Fußball-Deutschland in die Fan-Meilen, um ihre Lieblinge vor Großbildleinwänden anzufeuern. Die Deutschen und ihre Gäste vereint in diesen Tagen ein ganz unglaubliches Wir-Gefühl. Allein daheim schauen, das war einmal. Allenfalls zählt noch die gemeinsame Ball-ack-Betrachtung in der höchsteigenen Gartenlaube, bei Würstchen und Steaks vom Grill, der schwarz-rot-gold-bemalt in der glühenden Juli-Sonne schwitzt.

Auch Sylt zeigt sich „Public“-mäßig gut vorbereitet. Die Open-Air-Arena auf dem Flugplatz-Gelände wirkt durchaus einladend, von den finsteren schwarzen Gestalten an den Eingängen einmal abgesehen. Voll sind die zwei Zelte aber lediglich, wenn Lehmann und Co. antreten. Dann brennt die Luft. Spielt Figo, reißen sich sieben oder acht Service-Kräfte um die zwei Portugal-Fans, die sich ziemlich verloren vorkommen.

Deswegen müssen die Veranstalter um Peter Kötting an den Deutschland-Tagen versuchen, das Minus-Geschäft aufzufangen. Sie tun dies beispielsweise mit Achtelfinal-Aufschlägen, das Bier (0,5 l) kostet dann 5,50 Euro.  11 D-Mark: die musste man sonst für einen ganzen Kasten Bier hinlegen, beim Discounter. Na ja, die nächste WM in Deutschland ist ja frühestens in fünfzig Jahren. Da ist alles vergessen... Viele Gäste sind verärgert, ganz zu schweigen von Alg II-Empfängern, die fünf Euro fuffzig für einen ganzen Tag zur Verfügung haben.

Ärgerlich sind auch einige Gastronomen in der Innenstadt Westerlands. Da haben sie mit  „Hier WM live“-Tafeln vor  ihren Geschäften mächtig Reklame gemacht , extra noch den größeren Bildschirm besorgt, dann auf den großen Umsatz gehofft. Und was passiert? Vor der Verlängerung gegen die Italos, Schauplatz Bahnhof bis Wilhelmine, in vier Gaststätten lediglich vier Gäste, Chefs und Personal unter sich. Die Fans haben sich konzentriert auf einige wenige Treffpunkte, allein will eben keiner bleiben in diesen Wir-Tagen.

 

Fußball im TV

Nur wenige kamen in den Genuss einer Eintrittskarte, die Mehrheit in Fußball-Deutschland war auf TV-Bilder angewiesen. Wie wurden diese nun vermittelt, wie bewertet man den Unterhaltungsfaktor von Kerner, Delling und Co.?

Man weiß es nicht so genau: ist der liebe Günther nun ein ausgewiesener Experte oder ein „Fast immer das gleiche“-Schwätzer? Oder gar nur ein Quotenbringer? Netzers Kabbeleien mit ARD-Moderator Gerd Delling, beides Stammgäste auf Sylt, hatten lange Zeit Kult-Charakter und wurden ja auch schon mit Preisen belohnt. Dieses Mal gelang es den Kollegen vom anderen Kanal besser, die Zeit bis zum Anpfiff zu überbrücken.

Die ebenfalls öffentlich-rechtlichen ZDF`ler stellten eine bemerkenswerte Viererkette auf  mit echten Majestäten wie Kaiser Franz oder dem Fußball-König Pele, dazu die Schweizer Schiri-Ikone Urs Meyer sowie Geheimwaffe Jürgen Klopp, der ja bekanntlich in Mainz ein Heimspiel hat. Der Trainer des selbsternannten Karnevals-Vereines konnte nicht nur mithalten mit der ehemaligen Nummer 10 von Mönchengladbach und Real Madrid. Mit flockigen Sprüchen und einem guten Draht zu den ZDF-Regisseuren („haltet diese Szene mal eben an, Jungs“) sorgte Sympathie-Träger „Kloppi“ für gute Laune und interessante Einblicke in die Fußball-Taktik-Kiste. Bangen Herzens und wackeligen Fußes lief alsdann die internationale Kicker-Garde in die durchweg ausverkauften Stadien ein, wohl wissend, dass da ein gestrenger Fußballlehrer alle Unzulänglichkeiten unbarmherzig aufzeigt.

Unbedingt muss der ZDF-Ableger Phönix erwähnt werden im Zusammenhang mit der WM-Berichterstattung. Weit mehr als 100 Sendestunden informierte der Sparten-Kanal locker und leicht über die kleinen Dinge am Rande der großen WM, die erst das Ganze ausmachen. Nun kennt man überall von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen den Kreuzberger Rentner Emil, der aus reiner Menschenliebe Polen, Mexikaner und Koreaner an seinem Frühstücks-Gartentisch bewirtet hat und dafür Einladungen in alle Welt erhielt. 

Das Positive

Ganz klar: die größte positive Überraschung dieser WM war die Ausgestaltung der Gastgeberrolle. „Die Welt zu Gast bei Freunden“ – mit diesem Slogan hatte man die Meßlatte hoch gelegt, aber nicht zu hoch. Fans von Sydney bis Stockholm bekamen den Mund nicht mehr zu vor Staunen über die offensichtlich falsch eingeschätzten „Krauts“, wie Englands Boulevard-Presse gerne den deutschen Erz-Rivalen nennt. Kein Jammern mehr auf höchstem Niveau, die Deutschen können auch gern und gut ein Lächeln zeigen. Sie jubeln über Tore ihrer Gäste, bieten diesen umsonst Unterkunft und Verpflegung an und schrecken nicht einmal davor zurück, mitten im Sommer Karneval zu feiern mit trinidadscher Lebensfreude und tobegoischer Kostüm-Vielfalt. Vergessen ist der sture Michel, es lebe der neue deutsche Zeitgeist.

Aus sportlicher Sicht überzeugen besonders die Gastgeber mit ungewohntem Offensivspiel, aber auch Frankreich, Portugal und sogar die bei uns nicht so beliebten Italiener, die nicht nur die Unbesiegbarkeit der Deutschen im Dortmunder Stadion ad absurdum führten, sondern dabei sogar guten Fußballspiel spielten. Erfreut haben uns auch die Ghanaer, die die afrikanischen Farben im globalen Kräftemessen am längsten vertraten.

Dass es kaum Krawalle gab, selbst von den gefürchteten Engländern nicht, gehört ebenfalls auf die Positiv-Seite dieser WM.

Etwas negatives

Auch ganz klar: die als großer Favorit gestarteten Brasilianer waren die negative Überraschung dieser WM. Wer nach der allerhöchstens durchwachsenen Vorrunde immer noch auf eine Steigerung des Starensembles gehofft hatte, musste spätestens im Achtelfinale gegen Frankreich erkennen, dass aus den Überirdischen gewöhnliche Sterbliche geworden waren mit Eigenschaften, die nur allzu menschlich sind. Lustlos, leidenschaftslos und bisweilen überheblich trabten „Pummelnaldo“ und „Ronaldinchen“  über den Platz und schieden völlig verdient aus, begleitet von einem gellenden Pfeifkonzert enttäuschter Anhänger. Wann hat es das je gegeben?! Schon sehnt sich man sich bei der „Selecao“ zurück nach goldigen WM-Zeiten mit Star-Trainer Scolari, der jetzt mit Geheimfavorit Portugal von Sieg zu Sieg eilt.

Enttäuscht waren auch die Fans von Tchechien, Polen, Holland und Spanien über das frühe Ausscheiden ihrer Teams, die durchweg höhere Ansprüche hatten. Nicht zu vergessen die nach wie vor vom Elfmeter-Wahn befallenen Engländer, die das Runde aus elf Meter Entfernung einfach nicht in das Eckige bekommen. Und das nun schon seit Jahrzehnten!! Sorry: wie wäre es mit einem Psychologen. Wir könnten unseren ja auch einmal ausleihen, wo wir doch jetzt alle Freunde sind.

Etwas unrühmlich waren auch die Auftritte unserer Kanzlerin, die sich fußball-freundlich und volksnah in den Stadien gab und im gleichen Atemzug den großen Griff in die Taschen ihrer „Untergebenen“ plante. Pfui, dagegen werden wir uns nach der WM hoffentlich verstärkt wehren!

Die WM-Songs

Anführer der WM-Songs sind zweifelsohne die Sportfreunde Stiller. Ihr „vierundfünfzig, vierundsiebzig, neunzig, zweitausendsechs“ kennen mittlerweile alle Fans, die „mit dem Herz in der Hand und der Leidenschaft im Bein“  jedes Stadion in eine Open-Air-Bühne verwandeln. Bemerkenswert: Der Überraschungshit  ist in den deutschen Charts auf Platz 1, gefolgt von zwei weiteren Fußball-Songs. „Zeit, dass sich was dreht“ hat der offizielle WM-Song-Singer Herbert Grönemeyer getextet und die Nationalelf hat sich daran gehalten. Der Lohn: Platz 2 in den Charts, vor Frechdachs Olli Pocher, der als selbsternannter WM-Botschafter der Herzen Sonntag für Sonntag in einer großen deutschen Zeitung Fußball-Weisheiten an den Fan bringt. Oder auch nicht.

Ganz witzig: Die Gäste aus aller Welt, jedenfalls die mit Titel-Hoffnungen, haben unseren „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“-Schlachtruf übernommen. Gute Propaganda für die Bundeshauptstadt, oder?!

Die WM-Qualität

Aus sportlicher Sicht brachte die WM kaum neue Erkenntnisse – und auch keine überragenden Leistungen. Ausnahmen bestätigen jede Regel, das weiß man, also danke für die Spiele Argentinien-Elfenbeinküste, das geschlossene Auftreten der Franzosen beim Sieg über Brasilien, die erste Halbzeit der Deutschen gegen Schweden, das Halbfinale Deutschland-Italien. Der Rest war kaum erwähnenswert, gar abschreckende Fußballkost boten Schweiz gegen Ukraine und Tunesien gegen Saudi-Arabien (bis auf die letzten zehn Minuten). Insgesamt war das Niveau eher enttäuschend, (mehr als) entschädigt wurden die Fußballfans aber durch die tolle Stimmung in den Stadien und auf den Fan-Meilen.

Wie geht es weiter?

Auf der Zielgraden der WM 2006 machen sich die Deutschen Gedanken um ihren Trainer. „Klinsi“ ist mittlerweile zum Liebling der Fans geworden, nicht zu Unrecht, denn er ist der Vater der neuen deutschen Fußball-Philosophie, der Begründer einer attraktiven Spielweise einer jungen Mannschaft, der keiner, aber auch gar keiner, das Ausscheiden im Halbfinale übelgenommen hat. Die Stuttgarter Fans werden die Mannschaft beim Spiel um den dritten Platz am Samstag feiern, wie noch keine Verlierer-Mannschaft gefeiert worden ist.

Allen wollen „Klinsi“ als Trainer behalten, glücklicherweise auch der DFB, aber die Entscheidung fällt der Betroffene selbst. Und der lässt sich Zeit, fragt erst einmal seine Frau Debbie. Wenn die Mannschaft Weltmeister geworden wäre, hätte sich Klinsmann als Trainer verabschiedet, das ist Fakt. EM-Qualifikationen gegen San Marino wären nicht sein Ding gewesen, der die WM als Projekt eingeschätzt hätte, das mit dem Abpfiff des Endspieles eben beendet gewesen wäre.

Nun haben wir noch Chancen, dass er vielleicht bis Südafrika 2010 weitermacht. Einige Gründe sprächen dafür: das junge Team hätte weitere vier Jahre Zeit, sich fortzuentwickeln und dann noch einmal nach den Sternen zu greifen. Dies würde auch ganz sicher Jürgen Klinsmann reizen, aber ich glaube eher an eine andere Lösung: Trainer wird der jetzige Co-Trainer Joachim Löw und „Klinsi“ übernimmt die Amerikaner.

Was bleibt?

Die Hoffnung auf ein tolles Finale, ein tolles und erfolgreiches Spiel um Platz 3 und die Hoffnung auf eine gewisse Nachhaltigkeit dieser stimmungsvollen Weltmeisterschaft. Schon jubilieren die Fremdenverkehrs-Büros in Nord, Süd, West und Ost, weil viele Gäste wiederkommen wollen in dieses neue Deutschland. „Friends will be friends“ sang einst der unvergessene Freddie Mercury, und so soll es sein.

Dass die teils überschwängliche Stimmung und der große Optimismus hinübergerettet werden kann in die Zeit nach der WM, wie es die Kanzlerin gern hätte, wage ich zu bezweifeln. Zu groß sind die Probleme des Landes, zu unfähig die Politiker, die diese Probleme zu händeln haben. Deswegen abschließend ein gut gemeinter Tipp an alle: Unbedingt noch die letzte WM-Woche genießen, mit Freunden zu den Public Viewing-Events gehen, den unerwarteten WM-Sieg der Franzosen bejubeln und Teil dessen sein, was die Welt an uns schätzen gelernt hat: Deutschland einig Feierland.

 

FIFA-Chef Blatter  begeistert von den Gastgebern

Beste WM aller Zeiten

Als Argentiniens Top-Schiri Elizono am 9. Juli  in Berlin, nach dem entscheidenden Elfer von Italiens Grosso, das Finale um die Fußballweltmeisterschaft 2006 beendete, gab es viele Gewinner zu verzeichnen.

Die Squadra Azzura hatte durch das 5:3 nach Elfmeterschießen (gegen bessere Franzosen) mit dem vierten Titelgewinn Unmögliches möglich gemacht und ihr Manipulationsskandal-geschädigtes Land in einen Freudentaumel versetzt. Das WM-Organisationskomitee um Franz Beckenbauer konnte sich endgültig sicher sein, eine nahezu fehlerfreie Veranstaltung abgeliefert zu haben. Die Fans in aller Welt - und speziell die deutschen - durften sich mit stolzer Brust rühmen, ein gehörig Teil zu einer unglaublich freundlichen Atmosphäre beigetragen zu haben. Die Fan-Artikel-Hersteller, Bierlieferanten und viele andere Gewerbetreibende freuten sich ein Loch in den Bauch über Rekordumsätze. Die Tourismusbranche jubiliert ob großer Besucherströme, die das neue, fröhliche Deutschland in den kommenden Jahren heimsuchen werden.

Die WM im eigenen Land hat nicht überzeugt, sie hat begeistert. Wenn der oberste aller Fußball-Funktionäre dieser Welt, FIFA-Chef Sepp Blatter, von der „besten WM aller Zeiten“ spricht, lässt uns Deutsche dies nicht kalt, sondern das Lob erfüllt uns mit berechtigtem Stolz.

Der schwarz-rot-goldene Fußballrausch ist aber nun vorbei, der Alltag hat uns wieder Erinnerungen werden bleiben, an unglaublich emotionale Momente, an eine deutsche Elf, die sich unwiderruflich in die Herzen ihrer Anhänger gespielt hat. An Trainer Jürgen Klinsmann, den „Vater“ dieser so sympathischen Boy-Group „National-Elf“, deren 3. Platz von über 500 000 begeisterten Fans gefeiert wurde wie der WM-Titel. Die vielzitierten „Weltmeister der Herzen“ haben den Deutschen, zumindest für fünf Wochen, ein Lächeln geschenkt, das unvergessen bleiben wird, gerade auch bei den vielen Besuchern aus aller Welt.

„Deutschland ist das geilste Land der Welt“ singen sie heute noch in den Kneipen, den Gartenkolonien und womöglich auch noch zum Bundesliga-Auftakt in den Stadien, am 11. August. Dieses neue Hochgefühl gilt es so lange wie möglich hinüberzuretten in die kommenden Wochen, Monate, Jahre. Am besten bis 2010. Konnten viele der deutschen Fans beim Endspiel zwischen Italien und Frankreich eine gewisse Trauer doch nicht verbergen, weil ihre Lieblinge zum Zuschauen verdammt waren, gilt nun die Devise „Nach der WM ist vor der WM“. Eine vierjährige Vorfreude hat begonnen, denn aus den „Rumpelfußballern“ von einst sind Identifikations-Figuren geworden, denen man wegen einer unbeschwerten und doch kompetenten Spielweise alles zutraut in Südafrika. Und vorher hat man sogar noch Gelegenheit, die Scharte gegen den neuen Weltmeister auszuwetzen. Wie wäre es mit einem Sieg gegen die Tifosi im Endspiel der Fußball-Europameisterschaft 2008?

meint

Klaus Papenhausen